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TCE-Blog

30. Mai 2018 · Erfahrungsbericht

Heute liebe ich mich selbst - mein größtes Geschenk! (Teil I)

Seit dem Anfang meiner Therapie sind nun sieben Jahre vergangen. Ich glaubte alles vergessen zu haben. Jetzt, wo ich mich noch einmal intensiv damit beschäftige und in alten Unterlagen blättere, kommt mir dieser Zustand damals so vollkommen absurd und unmenschlich vor. Kaum vorstellbar, dass diesen Zustand, diese Gefühle, all dies ein Mensch oder ich überhaupt ertragen konnte.
Es ist für mich fast unvorstellbar, ja unfassbar, wie ich war: verhärmt, eingefallen, 26 Kilo leichter, ein aufgesetztes gezwungenes Lächeln im Gesicht, bleich. Aber das war nur der für meine Umwelt sichtbare Teil. Was sich in mir abspielte, war fast noch unerträglicher. Denke ich an diese Zeit zurück, kommen die Eindrücke meiner Hilflosigkeit, meiner Verzweiflung wieder auf. Dazu die eigenen Gedanken über mich – unsicher, verschüchtert, verängstigt, kleinlaut, zurückgezogen –, die ständigen Ängste, ich könnte etwas falsch machen. Die Überzeugungen, ich sei unerwünscht, fehl am Platz, ich störe. Die ständig flehende Bitte in meinen Augen, die ich mit mir herumtrug: „Lasst mich doch bitte hier erwünscht sein". Damit gleichzeitig einhergehend, das Bedürfnis, mich dafür entschuldigen zu wollen, dass ich im Raum war und dabei sein wollte. Meine Unfähigkeit, Freude und Glück auszudrücken oder überhaupt an mich heranzulassen. Die Eifersucht und die Abneigung gegenüber Mitpatientinnen, die das konnten. Meine riesige Mauer aus kaltem Stein, die mich einsperrte und einengte, mich vor Verletzungen, Nähe und Zuneigung „beschützte". Meine Verschlossenheit, meine Art alles zu überspielen, meinen absoluten „perfekten" Perfektionismus. All diese Erinnerungen lässt die Durchsicht meiner alten Unterlagen aufkommen und eine wichtige Erkenntnis.

Ich (be)wundere mich, dass ich meine Erkrankung wahrnehmen, realisieren und letztlich überwinden konnte. Ich habe es durch die Therapie geschafft, meine Erkrankung und die damit verbundenen Gewohnheiten zu bearbeiten und zu überwinden. Ich bin gesund geworden.

Ich kann
• (endlich wieder) genießen und mich freuen.
• mich (wieder) auf Menschen einlassen und mich ihnen ebenso selbst wieder öffnen.
• Essen, Ausflüge, Momente und Situationen (wieder) erleben und sie mit allen Sinnen genießen, voll und ganz mein Leben auskosten. Nicht so wie früher, als das Thema Essen mein Sauerstoff war, der mich Tag und Nacht begleitete.

Mein Treibstoff ist jetzt gefüllt mit Kraft, Elan, Lebensfreude, Nähe, Offenheit, Genuss, Gelassenheit und liebevollen Menschen, Erfahrungen, Momenten und Augenblicken.
Dies alles ist so wunderbar und bereichernd, einfach einzigartig.

Ein kleiner Teil der Krankheit blieb zurück, mit dem ich aber gelernt habe, zu leben und mich zu arrangieren. So weiß ich beispielsweise, dass es nicht der Realität entspricht und eine andere tieferliegende Ursache hat, wenn ich morgens mit einer immens verzerrten eigenen Körperwahrnehmung aufwache, beispielsweise das Gefühl habe, meine Hände und Backen usw. wären doppelt so groß.
Oder ich merke, dass mich die Versuchung, nichts zu essen, zu hungern oder abzunehmen deshalb überkommt, weil ich mit jemanden Streit habe und ich es nicht aushalten konnte. Oder weil ich keinen Ausweg aus einer Situation/keine Lösung für ein Problem finde.
Ich weiß, dass es sich nicht bessert, wenn ich mich wieder in diesen Nicht-Essenskreislauf begebe. Das stellt nur ein voreiliges, vollkommen schwachsinniges Weglaufen vor diesem Problem dar und führt auf Dauer zu nichts, außer zu diesem tiefen Sumpf, in dem ich in meiner Erkrankung schon viel zu lange gesteckt habe und versunken bin. Es lässt mich nur mich weiter von mir selbst entfernen!

Bildnachweis: Christin Büttner

Über die Autorin

Sophia, 26 Jahre, ehemalige Patientin im TCE